Revanche auf der Johannesbrücke
Heinz Nothbaum aus Bedburg erinnert sich an seine Kriegserlebnisse.
Neubearbeitung von Konrad Bludau
Beginn 2. Weltkrieg
Der 2. Weltkrieg begann nach dem Überfall auf Polen im Jahr 1939.
Im Herbst 1941 wurde ich in die Volksschule der Kölner Strasse eingeschult.
Mein Bruder Ferdi, Leutnant der Reserve, starb am 22.12.1942 im großen
Donbogen (Raum Grinitschkaja), nachdem auch Russland sich seit 1941 im
Krieg befand.
Im November / Dezember 1944 sind meine Mutter und ich mit einem Onkel
und einer Tante aus Manheim nach Thüringen Mülverstedt (heute Unstrut-
Hainich-Kreis) geflüchtet, nachdem die Front im Westen immer näher rückte.
Mein Vater und mein Bruder Hans blieben in Bedburg zurück.
Den Einmarsch der Amerikaner erlebten wir dort im April 1945.
Luftangriffe
In den Jahren 1942/43 begannen die Luftangriffe der Allierten nachts und
später auch tagsüber.
Als Schüler der Volksschule an der Kölner Strasse mussten wir unsere
Klasse bei Fliegeralarm verlassen und in die Stollen (Bunker), die sich an der
Johannesstrsse, am Johanneslust und am Sandberg (Feldewerths Gelände)
befanden, Schutz suchen.
So kam es zu erheblichen Unterrichtsausfällen.
Bei nächtlichen Bombenangriffen gingen wir in einen Betonbunker einer
Sandgrube an der Rupperburg in Broich. Der Bunker hatte mehrere Räume.
Die Schutzsuchenden mussten die Räume aufsuchen, die für sie vorbehalten
waren. Es gab dabei eine strikte Trennung zwischen den Bewohnern des
Unterdorfs (westlich der Mittelstrasse) und des Oberdorfs (östlich der
Mittelstrasse). Häufig kam es zu Reibereien wegen der Platzverteilung.
Nachts auf der Strasse
Bei nächtlichen Fliegerangriffen standen die in der Heimat verbliebenen älteren
Männer bei vollkommener Dunkelheit auf der Strasse und diskutierten über den Kriegsverlauf.
Als Deutschlands Vormarsch in Russland ins Stocken geriet, sagte einer der
Männer in Anspielung an den von Napoleon verlorenen Feldzug :“Jetzt
haben auch wir den Krieg verloren.“
Eine derartige Äußerung galt als „Wehrkraftzersetzung“ und konnte mit der Todesstrafe enden.
Nur dadurch, dass niemand der Männer diese Aussage an die
Nazis weitergab, blieb sie ohne Folgen. Im weiteren Kriegsverlauf sollte sich
diese Äußerung jedoch bewahrheiten.
Schäden durch Bombenangriffe
Ich kann mich noch gut an nachstehende Bombenangriffe erinnern:
Im Mai 1943 wurde das Internatsgebäude (heute Ort des leerstehenden Toom-Marktes)
an der Lindenstrasse und angrenzende Häuser wie z.B. Dieffendahl dem
Erdboden gleichgemacht.
Das Josefsheim ( heute befindet sich dort das Jugend- und Pfarrheim) sowie
die Villa Vandelocht/Firnhaber/ Le Caisne wurden fast total zerstört.
Die Pfarrkirche St. Lambertus erlitt starke Schäden, besonders gingen viele
Kirchenfenster zu Bruch.
Luftminen fielen in der Friedhofstrasse (Haus Krieger) in Bedburg sowie in
der Mittelstrasse in Broich. Die Bäckerei Borghs und andere Häuser wurden
getroffen.
Bei einem Bombenabwurf kam ein Herr Müller in einem sogenannten
„Einmannbunker“, der der Luftüberwachung diente, um sein Leben.
Soldaten aus dem Lipperland
In den Kriegsjahren 1942/43 befand sich im Schloß eine von den Nazis
eingerichtete Lehrerbildungsanstalt. Zu sportlichen Übungen marschierten
die jungen Männer , die größtenteils aus Niedersachsen/Lippe Detmold kamen,
uniformiert zum Sportplatz am Sandberg.
Während des Marsches zum Sandberg wurden Lieder gesungen.
Ein Liedanfang klingt mir noch in den Ohren: „Wir sind die Niedersachsen,
sturm- und erdverwachsen, heissa Widukinds Stamm.“
Junge Mädchen aus Bedburg freundeten sich mit ihnen an. Lange Jahre
bestanden diese Freundschaften noch und es fand ein jährlich wechselnder
Austausch zwischen Bedburg und dem „Lipperland“ statt.
Soldatenspiele in Broich
In der Weiherstrasse befand sich der Betrieb des Stellmachers und
Schreiners Dolfen. Herr Dolfen war führend in der St. Sebastianus
Schützenbruderschaft tätig. In seinem Betrieb lagerten deshalb
Holzgewehre, die die Bruderschaft anlässlich ihrer Umzüge benutzten. Durch
einen privaten Kontakt bekamen wir Jungen im Alter von sechs bis zehn
Jahren diese geliehen. Tagelang marschierten wir mit den Holzgewehren die
Weiherstrasse hinauf und hinunter und „spielten“ Soldaten.
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene
Von den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in Bedburg
sind mir zwei Gruppen im Gedächtsnis geblieben, die Italiener und Franzosen.
Die Italiener waren auf dem Sportplatz am Sandberg untergebracht. Unter
ihnen befand sich auch Franco Di Carlo. Er war von Beruf Friseur.
Da wegen des Krieges kaum noch deutsche Friseure im Ort waren, wurde DiCarlo in
einem Friseursalon auf dem Marktplatz eingesetzt. Auf dem Weg von seinem
Lager am Sandberg zu seiner Arbeitsstelle und wieder zurück kam er an dem
Spielwarengeschäft „Caspers“ an der Friedrich-Wilhelm-Strasse vorbei.
Dabei lernte er Gertrud, die Tochter der Ladenbesitzerin kennen.
Bei dem Kennenlernen blieb es nicht.
Trotz mancherlei Schwierigkeiten, die ihnen auf den Weg gelegt wurden,
haben sie nach dem Krieg geheiratet.
Die französischen Zwangsarbeiter wurden verpflichtet, den Landwirten in Broich
zu helfen. Sie schliefen im früheren Saal Haep
(ehemalige Gaststätte) unter Bewachung eines örtlichen Landwirtes.
Mit ihrer Arbeit waren die Landwirte sehr zufrieden, sie wurden von ihnen
beköstigt und waren beliebt.
Gegen Ende des Krieges wurden sie in Richtung Köln abtransportiert und
niemand hat je wieder etwas von ihnen gehört. Wäre einer von ihnen am
Leben geblieben, hätte er sicherlich ein Lebenszeichen von sich gegeben.
Luftabwehr vom Körfgens Turm
Quelle: Bundesarchiv, Bild 101l-635-4000-24 / Walther / CC-BY-SA 3.0
Als die Front vom Westen immer näher auf Bedburg rückte und die
Luftangriffe auch tagsüber zunahmen, wurde auf dem Körfges Turm
(Gerberturm) in der Friedrich-Wilhelm-Strasse 27 von der Wehrmacht zur
Luftverteidigung eine Vierlingsflack installiert. Ein örtlicher Parteigenosse
glaubte, noch unbedingt zum „Endsieg“ beitragen zu können. Er stieg
deshalb mit auf den Turm, um sich dort als Held zu beweisen.
Ein einiziger Angriff eines amerikanisches Flugzeugs genügte
und man hat ihn nie mehr den Turm besteigen sehen.
Panzer Bergekompanie
Auf dem „Bärenplatz“ im Johanneslust befand sich in den letzten
Kriegsjahren eine Einheit der Panzer-Berge-Kompanie. Sie hatte die Aufgabe,
nicht mehr einsatzbereite Panzer, die angeschossen oder liegengeblieben
waren, aus dem Kampfgebiet der Westfront zu holen, zu reparieren und
erneut einsatzbereit wieder herzustellen.
Von dieser Einheit war ein höherer Offizier bei uns in der Friedhofstrasse
einquartiert. Als mein Vater zu meiner Kinderkommunion Ostern 1944 an
einer Lungenentzündung erkrankte, konnte der Arzt Dr. med. H. Nießen aus der Kölner
Strasse ihm nicht mehr helfen , weil er kein wirksames Medikament
mehr hatte. Der Offizier fuhr in ein Wehrmachtslazarett und besorgte
Chinin, ein fiebersenkendes Mittel. So hat er meinem Vater das Leben
gerettet.
Heimreise aus der Evakurierung in Thüringen
Quelle:Bundesarchiv, Bild 183-V00670A / CC-BY-SA 3.0
Gegen Kriegsende im Mai 1945 hieß es in Mülverstedt: „Die Russen kommen
und besetzen Thüringen“. Mein Vater, der mit meinem Bruder Hans in
Bedburg geblieben war, besorgte für meine Mutter und für mich
Passierscheine, um uns aus Thüringen nach Hause zu holen.
Im Juni kam er mit dem in Bedburg bekannten Autoreparaturbesitzer
Fußangel, der seinen Betrieb auf dem Kölner Platz hatte, mit einem
sogenannten “Holzkocher-Auto“, das mit Holzgas betrieben wurde, in
Mülverstedt an. Am nächsten Morgen machten wir uns auf die Heimreise. Bei der
ersten Straßenkontrolle der Alliierten sah ich zum ersten Mal in meinem Leben einen
schwarzen amerikanischen Soldaten.
In Hennef an der Sieg haben wir übernachtet. Aus Furcht , dass die Reifen
seines Autos gestohlen werden konnten, nahm Herr Fußangel sie mit in sein
Schlafzimmer des Gasthauses. Morgens wurden die Reifen wieder schnell
montiert und die Heimreise wurde fortgesetzt.
Als wir die Sieg überqueren wollten, löste sich ein Rad, das nicht fest genug
angezogen war, und rollte in den Fluss. Es wurde mit vereinten Kräften
geborgen, so dass wir unsere Heimreise fortsetzen konnten.
Nach einer „Entlausung“ in Köln-Deutz erhielten wir einen weiteren Passierschein,
womit wir die von den Amerikanern errichtete Holzbrücke (Pattonbrücke)über den Rhein
überqueren durften. Wir waren Gott sei Dank wieder linksrheinisch und nach
kurzer Zeit froh und glücklich in Bedburg angelangt
Abgeschossene amerikannische Panzer
Zwischen Johanneslust, dem Gehöft Tannenhof und der Ortschaft
Wiedenfeld hat nachdem Bedburg von den Amerikanern eingenommen worden war,
ein einziger deutscher Panzer ca. fünf bis sechs
amerikanische Panzer, die sich auf dem Vormarsch befanden,
abgeschossen. Inzwischen hatten die Amerikaner Bedburg eingenommen.
Die abgeschossenen Panzer standen noch monatelang, wie vor einer Schnur
aufgestellt, ausgebrannt mitten im Feld.
Bei unseren kindlichen Entdeckungstouren wagten wir uns vor bis nach Johanneslust.
Wir trauten uns aber nicht, die Panzer aus der Nähe zu betrachten. Der deutsche Panzer hatte sich in Richtung
Rommerskirchen zurückgezogen. Aus Spritmangel soll ihn die Besatzung
gesprengt haben.
Revanche auf der Johannesbrücke
Ein Parteimitglied der NSDAP war angeblich maßgebend daran beteiligt,
Frauen, die sich während des Krieges mit ausländischen Kriegsgefangenen
eingelassen hatten, die Haare abzuschneiden. Diese Frauen und ihre
Angehörigen schnappten sich im Frühsommer 1945 dieses Parteimitglied
und warfen es von der behelfsmäßig errichteten Holzbrücke,
die die Amerikaner errichtet hatten, in die Erft.
Jedes mal , wenn er wieder hochgeklettert kam, machte er erneut Bekanntschaft mit dem
naßkalten Wasser der Erft. Als er am Ende seiner Kräfte schien,
kam zufällig eine amerikanische Militärstreife vorbei. Mein
Vater, der auch als Dolmetscher fungierte, sagte der Militärstreife,
sie sollten den Mann mitnehmen und in Sicherheit bringen.
So wurde er gerettet; er lebte noch lange Jahre in Bedburg.
Hungersnot
In den Nachkriegsjahren von 1945 - 1948 litten die meisten von uns Hunger.
Wir waren froh. dass wir in der Schule die sogenannte „Schulspeisung“
erhielten. Meistens gab es eine undefinierbare Erbsensuppe oder eine
Milchsuppe mit Rosinen, die wir Kinder lieber mochten.
Wir waren jedoch froh, dass wir überhaupt etwas zu essen bekamen. 1947
war das schlimmste Jahr, es war eisig kalt und es gab nichts zu essen.
Im darauffolgenden Jahr kam die Währungsreform und über Nacht waren die
Läden wieder voll mit Waren. Von da an ging es bergauf.